Im Rahmen von RAD Performance #2 wird Lale Rodgarkia-Dara eingeladen einen Workshop zum Thema Radios und FM-Transmitter zu leiten und über ihre Arbeit im Freien Radio zu sprechen. Im Interview berichtet die Künstlerin über Pirat*innen, Radios und den Verlust des anonymen Radiohörens in Zeiten von Torrent und Cloud-Streaming.

Als Mitbegründerin der freien Radioszene in Wien kannst du uns bestimmt einiges über die Anfänge des freien Radio bzw. auch zu deinen eigenen Erfahrungen in Wien und überhaupt erzählen …
Naja, ich würde mich auf keinen Fall als Mitbegründerin bezeichnen. Das bin ich schlichtweg nicht, da ich zwar gleich am Anfang zum Freien Radio gestoßen bin, aber keineswegs im Gründungsteam war und auch kein Teil der Pirat*innenbewegung. Die waren alle ein wenig älter als ich damals. Obgleich ich schon mit 12 Jahren aus einem Yps-Heft mein erstes Radio – ganz ohne Strom betrieben – gebastelt habe.
Ich war quasi eine Aktive der zweiten Welle und am Anfang auch recht verhalten in der Freien Radio Szene. Was mich zu Beginn, also vor knapp 20 Jahren, wirklich interessiert hat, war die Möglichkeit zur Sendung und die Demokratisierung der Produktionsmittel, sowie die technologische Vorreiterrolle, die es Ende der 90er innehatte und es zu einem fesselnden Ort gemacht haben. Es gab ja in den 90ern eine starke Verknüpfung der Vorreiter*innen der auch künstlerisch und aktivistisch verstandenen IT und der Freien Radio Szene. Eine sehr sinnvolle Verknüpfung, die simpel durch Personalunionen entstanden ist und auch eine Art der Praktikabilität dargestellt hat. In den 90er Jahren haben sich Communities wie Blackbox und medienkritische Plattformen wie Public Netbase gegründet, die sich kritisch mit dem neuen Medium Internet auseinandergesetzt haben und die selbstbestimmte Nutzung für alle User*innen zum Ziel hatten. Bezeichnenderweise sind beide Initiativen nicht mehr aktiv, während das Freie Radio noch aktiv ist.
Es kommt nicht von irgendwoher, dass die meisten Freien Radios heute noch mit Tools, die in den 90ern entwickelt worden sind, streamen.
Gleichzeitig führt das dazu, dass die Freien Medien immer weniger eine relevante Plattform darstellen. Ob während der Uni-Brennt-Bewegung, oder zuletzt 2015, als Menschen von Ungarn über Österreich nach Deutschland geflohen sind. Ganz anders war das noch während der Proteste gegen Schwarz/Blau ab dem Jahr 2000. Ich denke, dass hier auch eine interessante Verschiebung im Vertrauen passiert ist. Es ist interessant, mit welcher Selbstverständlichkeit auf Verschlüsselung der Kommunikationskanäle sowohl der Flüchtenden als auch der Helfenden verzichtet wurde, während die unter den Radio-Aktivist*innen verschlüsselte Email-Kommunikation schon seit Anfang der 2000er Jahre ein Thema war. Ich denke, dass mit 2015 und der eingetretenen Polarisierung der Gesellschaft dies so nicht mehr passieren wird. Hier passiert gerade Bewusstseinsbildung.
Mich hat am Radio dann vor allem die Entwicklung von künstlerischen Projekten, Hörspiel und Experimente, interessiert und später vor allem die Möglichkeiten von informeller Bildung, die über das Radio passiert ist, die ich geschätzt, genutzt und vielfach mitgestaltet habe. Ich finde, daß neben der Gegenöffentlichkeit, die die Freien Medien durchaus dargestellt haben und immer noch tun, der Low-Tech-Zugang und damit das unkomplizierte mehrsprachige Sprachrohr für Viele, emanzipatorische Bildung mit Hilfe des Radios passieren kann und soll. Der Äther ist flüchtig und fluid zugleich.
Um Radio zu machen, egal ob ich mich einen künstlerischen, journalistischen und unterhaltungsmedialen oder rein hedonistischen Anspruch habe, muss ich nicht Rechtschreiben können. In welcher Sprache auch immer – ich muss des Schreibens gar nicht mächtig sein. Das halte ich für extrem wichtig, denn so kann das Radio Raum geben ohne Ausbildungsansprüche erfüllen zu müssen.
Kennst du noch richtige Radiopirat*innen?
Ja, und sie tragen Augenklappen und Kopftücher, widersprechen dem seit 1.10.2017 geltenden neuen Vermummungsverbot und ihre Papageien haben Antennen anstatt Federn und senden und empfangen nur mehr verschlüsselt über den Briefpapageidienst.
Radiopirat*innen der ersten Stunden schauen aus, wie du und ich und es gibt sie seit den Anfängen der Regulierung des Äthers.
Es gibt eine sehr interessante Dissertation der verstorbenen Wissenschafterin und Medienkünstlerin Eva Brunner-Szabo “Die Geschichte der Arbeiter-Radio-Bewegung in Österreich”, vor ein paar Jahren hat Margit Wolfsberger im Freien Radio in Wien mit dem Projekt Schallspuren eine erste Aufarbeitung der Anfänge des Freien Radios versucht, und jüngst hat Christine Ehardt ihre Dissertation, die ich leider noch nicht gelesen habe, dem Radio gewidmet.
Wir erwarten ja schon gespannt deinen Workshop und mir ist in diesem Zusammenhang immer wieder der Begriff „digitaler Äther“ untergekommen. Was genau verstehst du denn darunter?
Also, digitaler Äther ist ein Neologismus. Darunter verstehe ich, den Äther nicht nur für analoge Signale zu begreifen, sondern auch für digitale Signale. Das heißt dann in Folge, dass man nicht nur mehr Signale unterbringt auf relativ kleinen Frequenzräumen, sondern das heißt auch, dass es irrelevant wird, welches Datensignal ich auf welchen Frequenzen sende. Und das macht glaube ich auch eine Veränderung in der Wahrnehmung aus. Da ist es eigentlich relativ wurscht, ob ich ein UKW-Signal verwende, und auf einem UKW-Signal ein digitales Signal sende, oder ob ich auf einem UKW-Signal ein analoges Signal sende. Und das macht auch das UKW-Frequenzspektrum plötzlich interessant, auch für andere Menschen oder auch kommerzielle Unternehmungen.
Beispielsweise beim digitalen Radio. Es gibt immer mehr Bestrebungen, das analoge Radiosignal auf UKW zu digitalisieren. Das könnte dann in Zukunft bedeuten, dass das Radiohören, so wie jetzt schon beim Fernsehen, über eine Box läuft, die das digitale Signal wieder analog übersetzt. Dadurch würden die Vorteile des ursprünglichen Radiohörens wegfallen. Nämlich, dass das Radio Low-Tech ist, kostengünstig und Opensource, dass es keine komplizierte Software in proprietären Systemen braucht. Und wahrscheinlich würde auch der anonyme Radiokonsum wegfallen.
Durch das nicht mehr analoge Radiohören werden also neue Kommunikationskanäle genutzt, die dann wiederum auch aufgezeichnet werden.
Genau. Und das würde wieder dazu führen, dass wir uns immer weiter weg bewegen von einem anonymen Medienkonsum an sich. Eine Tageszeitung bedeutet einen anonymen Medienkonsum. Wenn ich in ein Wirtshaus gehe, oder in ein Café, und dort Tageszeitung lese ist es ein anonymer Medienkonsum. Wenn ich äquivalent die Zeitung auf meinem Handy, meinem Tablet, oder meinem Computer lese, ist der Konsum nicht mehr anonym. Das ist eine Entwicklung, die passiert ist in den letzten Jahren und gerade beim Radio finde ich das sehr schade. Und gerade weil es zur Bündelung von Datensignalen kommt, glaube ich, wird es auch immer wichtiger, dass man Möglichkeiten hat, anonym Medien zu konsumieren und die Unterschiedlichen Kommunikationskanäle wieder zu entbündeln. Und analog UKW hören ist eine sehr einfache Lösung dafür.
Wie veränderte sich der von dir beschriebene digitale Äther in Zeiten von Torrent und Cloud Streaming?
Der digitale Äther ist in seiner Austauschbarkeit zuletzt nur ein Kanal für Datentransfer. Plötzlich medienpolitisch und kommerziell von Interesse für feudal agierende monopolistische Big-Player (Spotify, Google, Facebook, etc.), ebenso wie die vernetzte intelligente Navigation der Automotive Industry, als auch den Trägern der Gewaltmonopole, wie Nationalstaaten. Im deutschen Sprachraum dominieren die Radiotheorien und Ideen von Bert Brecht und Enzensberger, die schon in Richtung Social Media gingen, wenn man es genau anschaut: Das Radiogerät nicht nur als Empfänger, sondern auch als Sender.
Eine sehr interessante Entwicklung, die jetzt passiert, vor allem auch angesichts von Cloud Streaming, ist, dass quasi der Empfänger personifiziert wird und nicht anonym bleibt, aber der oder die Sender*in wird vermehrt anonym. Das ist nichts Neues, man hat ja diese Entwicklung sichtbar etwa bei der Anonymous-Bewegung im Internet. Das ist ja eine sehr anti-narzisstische Bewegung, wenn man das so anschaut: der oder die Sender*in wird anonym, aber die Person, die es empfängt, ist nicht mehr anonym. Und das ist eine direkte Umkehrung zu den ursprünglichen Anfängen des Radios.
Und das ist eine sehr schräge Entwicklung, auch übertragen aufs Radiohören. Plötzlich werden die Menschen, die die Message aussenden anonymisiert und jene, die es empfangen, werden nicht mehr anonymisiert. Gleichzeitig fällt der Real-Time-Effekt der Live-Sendung einer analogen Sendung weg. War es bisher ausschließlich abhängig von der Geschwindigkeit der Radiowellen, sind plötzlich die Analog-Digital-Konverter und ihre Prozessoren ausschlaggebend für das Timing. Das mag natürlich weit hergeholt klingen, aber probiere es einfach mal aus und hör dir parallel Live-Streams auf unterschiedlichen Endgeräten an. Das Mittagsjournal ist einfach nicht um Punkt 12 zu hören. Diese Latenzen geben auch die Möglichkeit zur Manipulation und das ist wiederum sehr spannend.
Die Anonymous-Bewegung wird auch immer mehr zur Verbreitung von rechtem, populistischen Gedankengut, auch zur Verbreitung von Verschwörungstheorien missbraucht.
Ja, aber ich glaube eher, dass das ein zum Teil auch überhebliches Problem darstellt, weil sich so lange dieses Märchen, oder Narrativ, durchgesetzt hat, dass technische Nutzung immer eine Nutzung des Guten und der Guten darstellt. Das halte ich für ein bisschen überheblich, naiv und gefährlich. Für mich ist es einfach eine Gemeinschaft und eine Gesellschaft, die Medien nutzt und die hat viele Aspekte. Manchmal totalitäre und radikale, die ich vielleicht auch nicht unterstütze, und manchmal andere. Und man muss aufpassen, dass man nicht in dieses Narrativ reinkommt. Durch die Argumentation „Wir müssen uns vor Kinderpornos schützen“ wird plötzlich die Netzneutralität in Frage gestellt. Ich halte das für problematisch, weil man dadurch den Äther an sich nicht pluraler, den Netzzugang nicht breiter diskutiert.
Du bist also der Meinung, dass man grundsätzlich hinterfragen muss, wer die digitale Welt nutzt…
… und wer sie bildet und zur Verfügung stellt. Ich finde vor allem die Entwicklung, die wir in den letzten Jahren erleben, mit großen feudalen Oligopolen für sehr problematisch. Weil sich da Information und Macht stark konzentriert und jeglicher zivilgesellschaftlicher und nationalstaatlicher Kontrolle entzieht. Sie agieren als Unternehmen sehr feudal, also sowohl Google, als auch Apple, Amazon, Facebook. Sind sehr hierarchisch, da geht es überhaupt nicht um Informationsweitergabe. Ich finde, da ist das Wort „feudal“ recht angebracht. Auch untereinander. Sie bekämpfen sich feudal untereinander, entheben sich anderen demokratischen Strukturen. Entziehen sich Steuersystemen, entziehen sich nationalstaatlichen Autoritäten. Und das sind Entwicklungen, die halte ich für problematisch. Und parallel dazu können etwa Opensource-Bewegungen zum Teil standhalten, aber nicht immer. Und das gehört diskutiert. Auch im Fall des Radios. Denn wer hat denn Interesse an einer Digitalisierung von Frequenzen? Das sind natürlich vor allem Großkonzerne, die legitime Interessen haben daran und nicht die Ursprungsidee…”Juhu wir können auf Frequenzband, welches ein analoger UKW Radiosender belegt, hunderte digitale Sender unterbringen”. Ich bin da auch keine Blockiererin von technologischen Möglichkeiten. Zum Beispiel spreche ich mich keineswegs gegen die Nutzung von digitalem Radio auf Mittelwelle aus.
Man sollte jedoch nicht vergessen, dass etwa die Mobilfunkfrequenzen zur Gänze kommerzialisiert sind. Da gibt es keine Freien Mobilfunkanbieter*innen.
Der Äther als öffentlicher Raum ist jedoch nur äußerst beschränkt diskutiert. Der Äther ist eben hoch reguliert und das Funkspektrum obliegt vor allem nationalstaatlichen Monopolen (Militär/Polizei/Sicherheit), sowie Verkehr und Orientierung auf der einen Seite, und den Rundfunkfrequenzen und Privatnutzung auf der anderen.
Das Interesse an der Digitalisierung entsteht also aus dem Thema Datenspeicherung geht und Beobachtung von Konsument*innen?
Natürlich, und allein die Tatsache, dass ich dann nur mehr Konsumentin oder Konsument bin, oder nur mehr ein Teil einer Crowd, oder nur mehr mit Label belegt werde, ist ein Problem für mich als Bürgerin. Ist auch ein Problem für mich in einer demokratischen Entwicklung. Wie demokratisch kann ich mich informieren, wenn ich mich in Newsbubbles bewege, oder wenn ich mir nicht mehr aussuchen kann, welches Medium ich konsumiere? Das finde ich nicht nur schade, das finde ich sehr einschränkend. Das finde ich auch sehr einschränkend in den Menschenrechten. Ich glaube, wir leben jetzt auch in Zeiten, wo man merkt, was die Auswirkungen der Technokratisierung sind. Das sich das entwickelt hat die letzten Jahre war schon klar. Und auch diese starke Verteufelung des Darknets halte ich für sehr problematisch. Denn im Grunde tut Thor eigentlich nichts, als die Verschlüsselung von Zugängen zu ermöglichen. Und das dann wieder erneut nur zu reduzieren auf Kriminalität und Kinderpornografie halte ich für problematisch, weil genauso die schon leider vergessenen Panamapaper-Kommunikationen über das Thor-Netzwerk gelaufen sind. Da tut man so, als wäre Transparenz das Allheilmittel, um Verbrechen zu lösen, aber das ist es einfach nicht. Ein Kommunikationsnetz ist per se immer das, was die Menschen daraus machen, befürchte ich. (lacht)
In deinem Workshop bauen wir kleine FM Transmitter – also Sender die dann später von den Teilnehmer*innen von RAD Performance empfangen werden.
Da muss ich natürlich gleich am Anfang sagen: Es handelt sich um eine Kunstaktion, denn das Senden auf UKW ist ja nicht erlaubt. Die Frequenzbänder sind streng reguliert. Das heißt, das Bauen ist durchaus erlaubt, das Senden nicht.
Das Senden über UKW ist also tatsächlich gesetzlich untersagt?
Ja, es ist untersagt. Deswegen war die Ursprungsidee von mir, dass wir die Sender an die Fahrraddynamos anschließen und wenn das Fahrrad steht, wird ja nicht gesendet, aber sobald es sich bewegt, wird gesendet. Das hätte ich als eine sehr lustige Analogie empfunden. Ich entwickle gerade funktionale Illustrationen auf Leiterplatten, die wir nächste Woche auch ätzen. Auf diesen Platinen basteln die Leute ihre Transmitter. Und die Platinen selber sind Bilder. Das heißt, der Transmitter ist ein Bild und gleichzeitig auch eine funktionale Illustration. Das finde ich sehr schön, diese Idee, dass das ein ästhetisches Objekt ist und ein funktionales Ding.
Über die Transmitter werden die Workshopteilnehmer*innen dann die Möglichkeit haben, in den Äther mit einzusteigen, um dort auch ihren Platz zu bekommen?
Mhm, das war die Idee und nachdem das ja ein Symposium ist, das urbanize!-Symposium, das sich mit democracy und DEMOCRAcitY auseinandersetzt, mit Demokratie und Stadt, gibt es da ja sehr viele Statements und Inputs zu Demokratie, und zu der Frage der Anonymität vielleicht auch. Und da fände ich es sehr schön, wenn wir einzelne Statements mit den Workshopteilnehmer*innen einfangen können oder zum Teil auch Mitschnitte aus den Vorträgen, die davor waren und jene dann senden.
Da die RAD-Performance am letzten Wochenende des Festivals stattfinden wird, haben wir also die Möglichkeit zur abschließenden Reflexion.
Mhm, das fände ich sehr schön. Also wenn man das nicht nur nutzt als Bastel-Workshop, sondern auch eine Auseinandersetzung beispielsweise mit der Frage „Wie wichtig ist mir anonymer Medienkonsum?“. Und ich finde, gerade bis vor etwa zwei Jahren, wurde das im Mainstream ja kaum diskutiert, ob WhatsApp und damit Facebook Daten rausgeben muss. Oder ob Asylant*innen ihre Telefone hergeben müssen, damit man nachvollziehen kann, wie sie nach Österreich gekommen sind oder nach Deutschland. Das sind ja Dinge, die sind nicht einmal angedacht worden und plötzlich kommt das ja jetzt auch im Mainstream an und ich finde, da wird die Frage immer wichtiger: Was höre ich? Was schaue ich? Wem vertraue ich? Wem vertraue ich auch meine Daten an und habe ich auch genug Vertrauen zum Nationalstaat? Habe ich genug Vertrauen den diversen Autoritäten gegenüber? Und habe ich auch genug Vertrauen, großen feudalen Unternehmen meine Daten zu geben? Das finde ich eine sehr schöne Überlegung, die man gemeinsam ansteuern kann.